(Foto von Restposten.de geklaut)
Fähnchen an Autos. Intonierte Nationalhymnen. Nationalstolzdebatten. Als Ossi hat man es heutzutage damit nicht leicht. Trägt man das Deutschlandtrikot oder schlossert sich so ein Fähnchen an die Familienkarre, wird man von Bundesdeutsch trainierten Superlinken gleich als Nationaldepp oder rechte Type, die endlich ihr Innerstes nach aussen kehren kann, dargestellt.
Vor 1989 war das alles nicht einfacher. Mit der offiziellen Hymne (im Ostteil des Landes) und der dazugehörigen Fahne wollten sich viele nicht identifizieren, mit der Fahne ohne Hammer, Zirkel und Ährenkranz durften sie es nicht. Das Verhältnis zur Bundesdeutschen Flagge war damals bei vielen trotzdem entspannter, zumal ein Bundeswehrparka mit Deutschlandfahne oder das Singen des Deutschlandliedes eher Opposition gegen das eigene Land als das Abfeiern Deutschlands oder, wie es einem im Osten eher unterstellt wurde, latente nationasozialistische Tendenzen bedeutete. Nach der Wende war das zumindest bei mir nicht mehr so und ich muss zugeben, dass ich mir auch heute noch nicht unbedingt eine Deutschland-Fahne ans Auto hängen würde. Ich habe nicht wirklich ein Problem damit, wenn es andere tun. Ich mach das einfach nicht, wie ich mir auch keinen „Radio-Gewinn-Aufkleber“ oder einen Fuchsschwanz ans Auto hefte. Ein Deutsches Fussballtrikot ziehe ich zu den Spielen „unserer Jungs“ aber schon mal über, ohne dabei Beklemmungen zu bekommen.
Was eine allzu (un)patriotische Grundhaltung im falschen Land im Zusammenhang mit Fussball bewirken kann, möchte ich jetzt mal erzählen.
Fussball-WM 1986 in Mexiko. Ich war gerade 15, in der 9.Klasse und spielte damals mehr recht als schlecht selbst Fussball bei Motor Babelsberg.
Es muss das Viertelfinale gegen Mexiko (4:1 n.E.) oder das Halbfinale gegen Frankreich (2:0) gewesen sein, so genau weiss ich das nicht mehr. Am nächsten Morgen sassen ein paar Jungs aus meiner Klasse im Schulflur in der Nähe der Aula. Es war gerade Mittagspause, so weit ich mich erinnere. Alle waren ziemlich begeistert vom Spiel der Deutschen Mannschaft und redeten sich die Köpfe heiss, als plötzlich jemand (ich könnte schwören, ich war es nicht…) anfing, die (Bundes)Deutsche Nationalhymne zu pfeifen. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wo wir uns hier gerade befinden, stimmte die Mehrzahl mit ein. War ja auch ein klasse Spiel.
Wenige Sekunden später, in meiner Erinnerung nur ein Wimpernschlag, fliegt die Tür der Aula auf. Eine riesige, verzierte Holztür mit einem ordentlichen Gewicht kracht gegen die Wand. Mit hochrotem Kopf und einer zerzausten Frisur, die entfernt an Clown Ferdinand erinnerte, kam unser damaliger Staatsbürgerkundelehrer Herr F. heraus geschossen.
F. hatte übrigens auch den Spitznamen Stasi-F., was im Nachhinein nie ganz geklärt wurde. Freiwilliger Helfer der Volkspolizei war er jedenfalls. Typ „Anscheisser“.
„Ihr Schweine! Ihr Hurensöhne! Ich mach Euch fertig!! Dafür haben meine Eltern nicht ins Gras gebissen!! Ihr Schweine! Ihr Hurensöhne!“
F. bekam sich kaum noch ein und musste von heraneilenden Lehrerkollegen an einem handgreiflichen Übergriff auf seine Schüler gehindert werden. Nur nochmal zur Erinnerung: der Typ war Lehrer. Unnötig zu erwähnen, dass unser pfiffig intoniertes Deutschlandlied bereits mit der krachenden Aulatür sofort verstummte. Es wäre sowieso nicht mehr zu hören gewesen.
Das Schlimmste befürchtend, warteten wir die Reaktion auf unsere und vor allem F.´s Vorstellung ab. Unser Glück war offensichtlich, dass wir zum einen eine doch etwas größere Gruppe waren, der man nicht pauschal antisozialistische Tendenzen unterschieben mochte und dass unser Klassenlehrer ein absoluter Fussballfan war, der natürlich privat auch dem Deutschen Team die Daumen hielt. Offensichtlich konnte er ganz gut vermitteln, denn für uns blieb am Ende, so glaube ich mich zu erinnern, ein Tadel, der sich in Masse aber ganz gut verkraften liess. Viel schöner und eines der befriedigendsten Erlebnisse meiner Schulzeit war jedoch, dass sich Stasi-F. bei uns offiziell und persönlich entschuldigen musste. Ich habe es nie wieder so Genossen, einen Menschen leiden zu sehen.
[tags]wm 2006, wm 1986, nationalhymne, ddr, brd[/tags]
23. Juni 2006 um 18:21 Uhr
Schöne Geschichte und eine schöne Gelegenheit an alte Zeiten zu denken ;-)
Schön auch, das es die DDR nicht mehr gibt.
24. Juni 2006 um 00:37 Uhr
Ich hab da noch mehr auf Lager. Wenn ich mich nur erinnern könnte…;-)) Billiger Wein mit Zucker aufgeschüttelt – nach 10 Bier versteht sich – ist nicht unbedingt ein Memory-Helper…
24. Juni 2006 um 09:24 Uhr
Memory-Helper hätte ich früher auch gut gebrauchen können als ich mit meiner Schwester mal selbiges spielte, gegen meine Nichte würde würde mir das aber auch nichts mehr nützen ;-)
Nebenbei bemerkt: So ein Memory-Helper ist doch bestimmt illegal ;-)
Aber falls dir wider erwarten doch noch eine Geschichte einfällt: Schreib se uff!
24. Juni 2006 um 11:03 Uhr
Ich werde mal in mich gehen. Bekanntlich ist das Langzeitgedächtnis durchaus zu Höchstleistungen in der Lage. Wer unzählige Geschichten der Großmutter aus Kriegstagen
ertragenhörenmusstedurfte, der weiss, was ich meine.Ansonsten wüsste ich nicht, was an einem Memory-Helper illegal sein soll. Spickzettel benutzt doch sogar die Kandesbunzlerin bei ihrem spritzigen Podcast. ;-)